zeitreisende.at

Tagebucheintrag 5-013 – Radio Wien

Werbung

Sonderausstellung Radio Wien – ORF-Funkhaus Wien/Heiligenstadt | 2025

“Und wie kommts an?”

Copyright 2025 by Photographics | Matthäus Häupl, Wien

In der Früh bin ich wieder pünktlich im Studio erschienen. Diesmal sollte unser letzter Beitrag aus der Reihe auf Sendung gehen und dazu musste ich, wie am Anfang auch schon, real im Studio auftauchen. Unser Liveeinstieg war für acht Uhr dreizehn geplant. Der Bernie hatte zu der Zeit schon seit sechs das Guten Morgen Wien moderiert und war demnach schon im Studio im Einsatz. Nach und nach sind dann auch alle anderen dahergekommen, die in den paar Wochen unsere Sendungen präsentiert haben. Vorn weg der Robert, hintnach das ganze Guten Morgen Team und alle Moderatoren. Es is anschließend ein bissl eng geworden in dem kleinen Sendestudio, aber wir haben natürlich auch das noch bravourös gemeistert. Sind ja alles Profis da und die wissen wirklich ganz genau, was sie machen. Ich hab unseren letzten Beitrag wirklich sehr schön gefunden und ich glaube, es war auch eine würdige Anerkennung für alle, die da aktiv in den paar Wochen mitgearbeitet haben.

Ich bin nach unserer Sendung dann noch mal rauf in die Kantine, um die Eindrücke alle ein wenig sacken zu lassen. Es war ja der letzte Tag hier und mir war bewusst, dass ich in nächster Zeit dann doch nicht mehr jeden Tag daher kommen würde. Ja, ich geb´s zu, ich war ein wenig wehmütig in dem Moment. Irgendwann ist dann aber Robert kurz nochmals aufgetaucht und ich hatte die Möglichkeit, mich nochmals ausgiebig bei ihm für dieses einmalige Erlebnis bedanken zu dürfen. Er hatte natürlich wie immer nicht recht viel Zeit zur Verfügung, da er wieder einmal CvD spielen musste und es eben wieder an ihm lag, ob das laufende Programm ordnungsgemäß abgeliefert wird oder nicht. Dennoch habe ich noch ein wirklich schönes Geschenk von im bekommen, auf das ich jetzt echt sehr stolz bin. Ich habe mir nämlich das Aufnahmeding, das er mir in den letzten Wochen zur Verfügung gestellt hat, behalten dürfen. Er hat gemeint, dass mir das vielleicht ein bisschen dabei helfen würde, meine weiteren Recherchen in Zukunft besser festhalten zu können. Bevor wir allerdings noch ein weiteres Gespräch anfangen konnten, ist er auch schon wieder zu seiner Aufgabe abgeschwirrt. Ich hab mir jedenfalls geschworen, denen weiterhin über die tragenden Wellen zuzuhören, allerdings muss ich mir dazu halt nur noch so ein Empfangsding besorgen. Aber das treib ich auch noch irgendwo auf.

In den nächsten Tagen war dann so wirklich gar nichts los. Es war wie abgerissen. Julchen hat ihren Kopf in den Büchern gehabt, der Günter hatte nach seinen Pflichtrundgängen auch nicht viel Energie Blödsinn zu machen und ich war in Gedanken noch immer in meinen letzten Erlebnissen unterwegs. So haben wir die Tage quasi einfach nur runtergebogen. Wenn das Wetter schlecht war oben in der Wohnung und wenn´s mal gepasst hat, unten im Innenhof. Also wie schon gesagt, nichts wirklich Großartiges zu berichten.

Die erste richtige Abwechslung war erst, als uns die Nachbarin vom dritten Stock zu einem kleinen Kaffeeklatsch am Nachmittag eingeladen hat. Das ist wirklich eine ganz nette alte Dame und alle im Haus nennen sie nur Oma Charlotte. Die hat mir in der Zeit, wo Julchen noch nicht da war, des Öfteren auch schon auf den kleinen Racker aufgepasst, wenn er mal irgendwo hin nicht mitgehen hat können. Oma Charlotte gehört irgendwie zum festen Inventar des Hauses. Für viele ist sie einfach nur die nette alte Nachbarin, die mit dem freundlichen Nicken im Treppenhaus, dem Blümchenkleid im Sommer und dem leisen Summen eines alten Liedes, das manchmal durch die angelehnte Wohnungstür weht, dem Altbau einfach nur Freude bereitet. Ihre Wohnung ist klein, aber sie riecht immer nach frischem Kaffee, ein wenig Lavendel und irgendetwas frisch gebackenem. Hinter ihren Fenstern hängen weiße Gardinen, die sich im Luftzug bewegen, wenn sie auf kipp stehen und auf den Fensterbänken wachsen Geranien, die irgendwie immer blühen, auch wenn der Innenhof kaum was von Sonne sieht. Sie ist weit über achtzig, aber noch immer sehr wach und klar. Auch hat sie dieses stille Wissen in sich, das man nicht so einfach lernen kann. Das kommt vom langen Leben und den sich daraus ergebenden Erfahrungen. Ihr Gesicht ist voller kleiner Falten, aber diese trägt sie wie Auszeichnungen und man kann in ihnen auch die Geschichten sehen, die sie ab und zu mit ganz großer Leidenschaft erzählt. Kurzum, die ganze Hausgemeinschaft hat sie wirklich sehr gern.

Jedenfalls durften wir den heutigen Nachmittag bei ihr mit Kaffee und köstlichem Kuchen verbringen. Natürlich war Oma Charlotte auch nicht entgangen, dass ich die letzten paar Wochen bei dem großen Radiosender in der Stadt gearbeitet habe und sie hat, wie soll es auch anders sein, alle meine Beiträge mit Robert sehr aufmerksam verfolgt und war demnach auch hellauf begeistert von den ganzen Geschichten, die wir beide zu dem Thema aufgetrieben haben. „Das war fast genauso wie früher“, hat sie gemeint und dann hat sich ein wirklich sehr langes Gespräch ergeben, über die Inhalte und die damals eher begrenzte Möglichkeit, das Radioprogramm überhaupt empfangen zu können.

„Es war damals eine andere, vielleicht auch ein wenig ruhigere Zeit. Das Radio hat nicht bloß im Hintergrund herum gedudelt, sondern war eher das Zentrum eines ganzen Tages. Man hat sich bewusst und in Ruhe davor gesetzt, mit einer Tasse Tee in der Hand und dem Gefühl, gleich etwas Wichtiges, Schönes oder Spannendes erleben zu dürfen. Auch war es meistens eher ein repräsentatives Möbelstück in den sonst so kargen Einrichtungen der kleinen Wohnungen. Oft stand es dazu auf einer gehäkelten Decke im Wohnzimmer, hatte wertvolle Holzverkleidungen, Drehknöpfe und manchmal sogar eine beleuchtete Frequenzanzeige, die geheimnisvoll glühte, wenn man es eingeschaltet hat. Wenn nach dem Gong zu jeder vollen Stunde die Nachrichten kamen, war das fast wie ein wiederkehrendes Ritual und meistens hat man sogar dabei das Kochen kurz eingestellt, um dem Neuesten aus aller Welt zu lauschen. So besonders war das damals. Für viele war es aber auch die erste Berührung mit echter Musik aus allen Kategorien. Sorgfältig ausgewählt war dabei jedes Lied als solches ein eigenes kleines Ereignis. Und dann hats da auch noch die Hörspiele gegeben. Da saß die ganze Familie abends zusammen, das Licht war gedimmt, und man lauschte mit angehaltenem Atem den spannenden Geschichten. Das Radio forderte Fantasie von allen und jeder konnte so seine eigene Welt sehen. Das Radio war also viel mehr als nur ein Gerät. Es war ein Begleiter. In guten und in schweren Zeiten. Es lief leise in Küchen, in Werkstätten und auf Baustellen. Es lief im Hintergrund, wenn gebacken, gestritten, geweint oder gelacht wurde. Aber manchmal wurde es auch einmal ganz laut aufgedreht, wenn das Lieblingslied gespielt worden ist.“

Die Möglichkeit, das erleben zu dürfen, hatten wir beide in dem Moment auch in der Realität. Julchen hat sich nämlich eher weniger für die interessanten Erzählungen von Oma Charlotte interessiert und hat es daher vorgezogen, mit dem Kofferradio in der Hand und zu der speziellen Musikauswahl von Sascha in Radio Wien einstweilen ausgiebig in der kleinen Wohnung herumzutanzen. „Das Radio von früher war etwas ganz Besonderes“, hat sie noch angefügt. „Es hatte wirklich noch eine Seele. Die Stimmen, die daraus sprachen, fühlten sich fast an wie alte Freunde, die jeden Tag aufs Neue wieder zu Besuch kamen.“ Das ist mir bei meiner letzten Arbeit auch schon aufgefallen. Denn wenn man sich mal ein wenig mit der Materie Radio beschäftigt, dann steht einem auf einmal eine immens große Auswahl an verschiedensten Inhalten zur Verfügung, in der man leicht den Überblick verlieren kann. Auch lässt sich dabei sicher nicht mehr immer alles ganz genau hinterfragen, so wie es wichtig ist und der Robert mir eindringlich erklärt hat. Da stellt die außergewöhnlich große Menge und der Überfluss an unterschiedlichsten Inhalten zum gleichen Thema sicher ein wenig ein gröberes Problem dar.

Wir haben dann noch lange über mögliche Inhalte gesprochen, die eventuell die alte Dame im jetzigen Radioprogramm auch besonders interessieren würden. Diese hab ich mir in meinem Notizbuch fein säuberlich aufgeschrieben, da ich vor habe, diese dem Robert in nächster Zeit einmal zu unterbreiten. Er hat ja gesagt, er ist immer froh, wenn er eine Rückmeldung von den Zuhörern bekommt und Oma hat dazu wirklich ein paar ganz besondere und einmalige Ideen gehabt. Es ist jedes Mal wieder ein besonderes Glück, wenn man den Geschichten von Oma Charlotte lauschen darf. Diese begleiten einen noch eine relativ lange Zeit weiter.

Julchen haben wir schlussendlich mit einem Teller Kekse auch wieder einfangen können und ich habe Oma Charlotte versprochen, ab jetzt in kürzeren Zeitabständen über meine weiteren Erlebnisse immer wieder Bericht zu erstatten. Ich hoffe halt nur, dass sie noch recht lange bei uns bleiben darf. Die Jüngste ist sie ja wahrlich nicht mehr, aber eine nette Nachbarin und ein ganz feiner Mensch.


Podcast-Erklärung und Informationen zum Thema


Informationen zu der Grafik

Standort des neuen Fotos (2025)Irgendeine Wohnung in Wien
Titel eingearbeitetes altes BildOmama beim Radiohören
Datierungca. 1930
Archiv | Urheber altes BildTechnisches Museum Wien Bibliothek

Die Bilder der Originalausstellung sind im Format Format 120x90cm / Leinwand auf Keilrahmen / von echtleinwand | Wien produziert worden.

www.echtleinwand.at

Wir bedanken und für die musikalische Untermalung der fünften Reise bei

STAFAN WAGNER

Band : STAFAN WAGNER GROUP

Titel: “New Atlantis”

http://stefanwagnergroup.at/


Die ganze Reise findet ihr unter www.zeitreisende.at


Wenn euch die Grafiken unserer Reise gefallen haben, würden wir uns auch über eine kleine Spende freuen.

Besten Dank, das Team von Photographics






Werbung
error: Content is protected !!